„Ich sehe den Tod nicht als etwas Negatives“

Trompe l’oeil Vanitas-Stillleben, Sillycut, 2016

Interview mit der Künstlerin Sillycut

Eine Fledermaus mit großen Ohren und blutverschmiertem Maul, ein Wesen mit Zylinder und Schnabelmaske und ein grinsendes Skelett mit einer Zigarre zwischen den Zähnen gehören zu ihren jüngsten Werken. Diese Skulpturen bilden nur einen kleinen Ausschnitt des Schaffens der in Leipzig geborenen Künstlerin Jana Krippner, besser bekannt als Sillycut. In Kontakt kamen mit der studierten Kunstpädagogin, die heute in Fürth im Odenwald lebt, im Vorfeld unserer 2012 in Leipzig gezeigten Ausstellung „Boten des Todes“. Dort war ihre Skulptur eines Totenkopfschwärmers zu sehen. Nun hat sie für uns ein paar Fragen über sich und ihre Arbeit beantwortet.

Schemenkabinett: Jana, wie bist du dazu gekommen, künstlerisch tätig zu werden?

Sillycut: Kreativ tätig bin ich schon solange ich denken kann. Mit Malen und Zeichnen konnte ich mich schon in meiner frühen Kindheit stundenlang beschäftigen. Etwas mit den eigenen Händen erschaffen zu können und es nach seinen Vorstellungen gestalten zu können, finde ich sehr wichtig. Geprägt haben mich da besonders mein Großvater, der Tischler war und in seiner Freizeit Holzfiguren geschnitzt hat, sowie ein vielfältiger Kunstunterricht auch außerhalb der Schule, den meine Eltern mir ermöglicht haben.

Diese Skulpturen gehören zu den neusten Kreationen von Sillycut.

Schemenkabinett: Deine Arbeiten sind sehr vielfältig und umfassen unter anderem Skulpturen und Gemälde, aber auch Schmuck. Woher nimmst du deine Ideen und Inspiration?

Sillycut: Meine Ideen und Inspirationen entstehen durch meine Faszination für die Vergänglichkeit aller Dinge und des Lebens im Allgemeinen und den Umgang verschiedener Kulturen mit diesem Thema. Die unerschöpflichen Quellen der Inspiration sind besonders die Natur mit ihrer Vielfalt, die bildende und angewandte Kunst aus allen Epochen, Literatur und Film. Ja, in der Wahl meiner Techniken bin ich vielseitig. Ich könnte mich niemals auf ein Medium festlegen. Mit einer neuen Idee weiß ich meistens sofort, in welcher Form und mit welchem Medium/Technik sie entstehen wird; ich habe dann ein ungefähres Bild vor Augen, wie das fertige Werk aussehen könnte. Im Schaffensprozess findet im besten Fall so eine Art Dialog mit dem Werk statt. So fließen dann intuitiv neue Ideen ein. Ich erlaube dem Werk sich zu entwickeln und halte nicht zu sehr an der ursprünglichen Vorstellung fest.

Hungry Bat, Sillycut, 2020

Schemenkabinett: Wiederkehrende Motive in deinen Werken sind unter anderem Fledermäuse, Raben und Totenkopfschwärmer. Erzähl uns etwas über deine Beziehung zur Natur.

Sillycut: Natur ist für mich Kraft- und Inspirationsquelle. In der Natur wird für mich der Kreislauf des Werdens und Vergehens am deutlichsten sichtbar. Am interessantesten finde ich die Geschehnisse und Phänomene die im (für uns Menschen) Verborgenen ablaufen, z.B. nachts aber auch unter der Erde oder Prozesse, die erst durch genaueres, längeres Beobachten wahrnehmbar sind. Sie erinnern mich daran, dass wir Menschen nichts wissen. Die Natur erdet mich und führt mir vor Augen, dass auch ich ein Teil ihrer Prozesse bin und vergehen werde. Tiere, wie Fledermäuse, Raben und Totenkopfschwärmer sind für mich als Motive interessant, da sie seit jeher den Umgang der Menschen mit dem Tod symbolisieren.

Totenkopfschwärmer, Acherontia atropos, Sillycut, 2010

Schemenkabinett: Ein großer Teil deiner Arbeiten hat morbide Bezüge. Skelette, Schädel und Vanitas-Motive sind zu sehen. Inwiefern beschäftigt dich das Thema Tod und wie verarbeitest du es in deinen Werken?

Sillycut: Wie schon erwähnt ist ein Kernmotiv meiner Arbeiten die Vergänglichkeit und der Kreislauf des Lebens. So sehe ich allerdings den Tod nicht als etwas Negatives, sondern als unabdingbares Element dieses Kreislaufs. Ich bediene mich oft der Vanitas-Symbolik und anderen Boten des Todes. Durch sie erinnern meine Werke den Rezipienten an die Endlichkeit seines jetzigen Lebens, gleichzeitig ist dabei die wichtigere Erkenntnis, das Leben sinnvoll und für sich erfüllend zu nutzen. Manche mögen diese Thematik als düster und pessimistisch wahrnehmen, für mich ist jedoch das Gegenteil der Fall. Da ich mich aktiv mit dem Tod auseinandersetze, kann ich das Leben viel achtsamer wahrnehmen und bewusster erleben. Ich habe also keine Todessehnsucht, vielmehr Lebensfreude. Mir ist dabei eine spielerische, ironische Herangehensweise zu eigen, bei der ich mich selbst nicht zu ernst nehme. So kann ich durchaus über meine eigenen Werke lachen.

Memento Mori, Sillycut, 2015

Schemenkabinett: Ein Thema, das in einer Reihe deiner Werke aufgegriffen wird, ist die Pest. Momentan wird das Weltgeschehen von der COVID-19-Pandemie bestimmt. Was fasziniert dich an der Pest und wie beeinflusst die momentane Situation dich als Künstlerin?

Sillycut: Mein Interesse für Seuchen und Pandemien rührt von meiner Faszination für die unsichtbaren, verborgenen Prozesse der Natur. Sie spiegeln die Machtlosigkeit der Menschheit gegenüber der Natur wider und führen uns vor Augen, dass wir ein Teil von ihr sind, ob es uns gefällt oder nicht. Unsere „fortschrittliche“ Welt schützt uns Menschen nicht vor Pandemien durch neue Krankheitserreger; im Gegenteil, die Ausbreitung erfolgt viel schneller. Wir machen uns die Natur nicht Untertan; das zeigt uns auch die COVID-19-Pandemie. Wir können im Grunde nur reagieren und lernen mit der Situation umzugehen. Ich sehe viele Parallelen zu vergangenen Pandemien. Es gab in der Vergangenheit wilde Spekulationen, woher die Krankheiten kamen, ob sie eine Strafe Gottes seien, das Werk von Hexen oder gezielt verbreitet wurden durch andere Volksgruppen. Ähnliche Schuldzuschreibungen und Erklärungsansätze finden sich auch aktuell, etwa durch Vermutungen, das Virus sei künstlich hergestellt und mutmaßlich auf die Menschheit losgelassen worden, um in der Folge alle Menschen mit geheimen Nanopartikeln zwangsimpfen zu können. Wenn sich Menschen etwas nicht einfach erklären können und keine schnelle Lösung in Sicht scheint, ist der Nährboden für wilde Theorien bereitet. Einen Sündenbock zu finden ist leichter als die Pandemie zu bekämpfen.
Kurzum, die derzeitige Situation vergegenwärtigt mir die Fragilität des Lebens und die Machtlosigkeit der Menschen. Sie bietet mir kreative Inspiration. Ich greife zum Beispiel die Figur des Pestdoktors auf, welche eine Parallele zum heutigen Tragen von Schutzmasken aufweist. Die Zeiten haben sich zwar gewandelt und doch bleibt der Umgang mit solchen Situationen ähnlich.

Der Rattenkönig bringt die Pest, Sillycut, 2017

Schemenkabinett: Zu unseren persönlichen Favoriten unter deinen Arbeiten gehört die Zeichnung „Der Rattenkönig bringt die Pest“. Wie bist du bei der Komposition dieses Werkes vorgegangen?

Sillycut: Im Mittelpunkt dieses Werkes steht ein Rattenkönig, eine Schar von Ratten, deren Schwänze unlösbar miteinander verknotet sind. Rattenkönige galten als Boten der Pest. Die Tatsache, dass sie ein natürliches, tatsächlich existierendes, wenn auch sehr seltenes Phänomen darstellen, fasziniert mich. Rattenkönige entstehen, wenn sehr viele Ratten auf einem Fleck leben. Da durch Ratten die mit der Pest infizierten Flöhe zu den Menschen gelangten, kann diese starke Anhäufung von Ratten durchaus als Omen der Pest interpretiert werden. Die Ursprungsidee für das besagte Werk war eine graphische Umsetzung eines Rattenkönigs. Zu Beginn hatte ich nur die kreisförmige Anordnung der Ratten mit dem Knoten der Schwänze in der Mitte vor Augen. Alle anderen Bildelemente sind dann im Prozess hinzugekommen. Quasi im Dialog mit dem Bild haben diese sich intuitiv ergeben. So kamen die Ratten in die Stadt, begleitet von der Pest und dem Schwarzen Tod im Gewand des Pestdoktors.

Rabe, Sillycut, 2017

Schemenkabinett: Auf welches deiner Werke bist du besonders Stolz und warum?

Sillycut: Da ich mit jedem meiner Werke weiter wachse, bin ich oft mit der zuletzt fertig gestellten Arbeit recht zufrieden. Oft sind es die besonders aufwendigen Dinge, die sehr lange Zeit, längere Schaffenspausen eingeschlossen, in Anspruch genommen haben. Dazu gehören unter anderem Zeichnungen wie das Trompe l’oeil Vanitas-Stillleben, die Tuschezeichnung „Der Rattenkönig bringt die Pest“ oder einige Werke meiner SKULLpture Serie und andere Stoffskulpturen/Puppets.

Schemenkabinett: Weißt du schon, welches Projekt dein nächstes sein wird?

Lady Vanitas aus der Serie SKULLptures, Sillycut, 2013

Sillycut: Derzeit befinde ich mich im kreativen Prozess der Entwürfe diverser Gegenstände für ein Buchprojekt eines bekannten Szeneautors, welche dann in limitierter Auflage an die Crowdfunding-Unterstützer des Projektes gehen werden. Dazu kann ich aber erst zu einem späteren Zeitpunkt Näheres bekanntgeben.
Künstlerisch strebe ich gerade eine Erweiterung meiner Techniken um etwas gröbere, wildere, ursprünglichere Gestaltungsweisen an, um freier zu werden. Dabei haben es mir besonders fetischähnliche Figuren angetan.

Schemenkabinett: Das klingt sehr vielversprechend; wir sind gespannt und danken dir, dass du dir Zeit für das Interview genommen hast.

Wer mehr über die Arbeit von Sillycut erfahren möchte, kann dies bei Facebook, Instagram und Etsy tun.

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