Termitenfressende Ameisen retten nicht alle verletzten Koloniemitglieder.
Bis zu vier Mal täglich begeben sich afrikanische Ameisen der Art Megaponera analis auf Beutezug, um Termiten zu jagen und als Nahrung in ihr Nest zu bringen. Ihre Überfälle finden dort statt, wo die pflanzenfressenden Termiten auf Nahrungssuche gehen. Sobald eine Ameise beim Kundschaften Termiten entdeckt, kehrt sie zu ihrem Nest zurück, um einen Trupp aus mehreren hundert Ameisen zu rekrutieren, den sie dann zum Ort des Geschehens führt. Während des Beutezugs teilen sich die Ameisen die Aufgaben. Die größeren Tiere brechen die Schutzwälle aus Erde auf, die die Termiten errichten, und die kleineren drängen hinein, um die Termiten in ihrem Versteck zu töten und anschließend herauszuziehen. Nach dem kurzen aber heftigen Kampf werden die getöteten Termiten eingesammelt und der Ameisentrupp zieht sich geschlossen zurück.
Die Termiten sind allerdings wehrhaft. So gibt es Termiten-Soldaten mit gepanzerten Köpfen und starken Kiefern. Den angreifenden Ameisen werden regelmäßig Beine oder Antennen abgetrennt und die Termiten verbeißen sich in ihren Körpern. Eine Forschergruppe um Erik Thomas Frank beobachtete in einer Studie, die in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht wurde, was mit solchen verletzten Ameisen passiert. Trifft eine gesunde Ameise nach dem Kampf auf ein verletztes Mitglied ihrer Kolonie, wird dieses zurück ins Nest getragen und dort gepflegt. Die verletzten Ameisen nutzen einen speziellen Duftstoff, der Koloniemitgliedern anzeigt, dass sie Hilfe benötigen. Werden die Verwundeten von einer anderen Ameise mit den Antennen abgetastet, krümmen sie sich zusammen und ziehen ihre Beine ein, sodass ihr Abtransport gut gelingt.
Die Forscher untersuchten in einem Experiment, was passiert, wenn verletzte Ameisen gezwungen waren, alleine ins Nest zurückzukehren. Etwa ein Drittel der verletzten Ameisen, die keine Hilfe von anderen Mitgliedern ihrer Kolonie erhielten, kamen auf dem Weg dorthin ums Leben. Sie wurden Opfer von lauernden Spinnen, anderen räuberischen Ameisen oder starben schlicht an Erschöpfung. Die Hilfe ihrer Koloniemitglieder ist also extrem wichtig für die verletzten Ameisen.
Waren sie erst einmal ins Nest gelangt, erholten sich die Verwundeten in der Regel so gut, dass sie bei den nächsten Beutezügen wieder an vorderster Front mitkämpfen konnten. Da die Gliedmaßen der Ameisen nicht nachwachsen, mussten die Amputierten während ihrer Genesungszeit lernen, mit den verbliebenen Beinen koordiniert zu laufen. Etwa zwanzig Prozent der Ameisen, die an den Beutezügen beteiligt waren, trugen sichtbare Verletzungen von früheren Kämpfen. Dies zeigt, wie wichtig der Abtransport der Verletzten für die gesamte Kolonie ist, denn ohne die tapferen Veteranen wäre diese erheblich kleiner und schwächer.
In einer neuen, in der Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B erschienen, Studie erforschten Frank und Kollegen nun, warum sich die im Kampf verwundeten Ameisen im Nest so gut erholen. Wurden verletzte Ameisen dorthin gebracht, pflegten die Koloniemitglieder sie intensiv. Sie versuchten die Termiten, die sich in den Körpern der Ameisen verbissen hatten, zu entfernen und beleckten offene Wunden mehrere Minuten lang, um sie zu reinigen und um ihren, vermutlich desinfizierenden, Speichel aufzutragen. Nur zehn Prozent der verletzten Tiere verstarben während der Behandlung. Isolierten die Forscher die Ameisen allerdings, sodass diese keine solche Pflege erfahren konnten, erhöhte sich ihre Sterblichkeit auf achtzig Prozent. Wundinfektionen waren dabei wohl die hauptsächliche Todesursache.
Interessanterweise fanden die Forscher unter den verletzten Ameisen, die in der Kolonie gesundgepflegt wurden, meistens Tiere, die nur ein einzelnes Bein verloren hatten oder seltener zwei oder drei. Nie sahen sie jedoch Ameisen, die noch schwerer verletzt waren. Um herauszufinden, was mit schwerverletzten Tieren passiert, verfolgten die Forscher in einem Experiment das Schicksal von Ameisen, die fünf ihrer sechs Beine verloren hatten. Während leichtverletzte Ameisen versuchten, ihren Abtransport einfacher zu machen, verhielten sich die Schwerverletzten grundlegend anders. Sie schlugen mit ihrem verbliebenen Bein um sich und drehten sich um die eigene Achse. Auch sendeten sie offenbar keinen Duftstoff aus, um Koloniemitglieder zum Helfen anzulocken.
Fand eine gesunde Ameise eine Schwerverletzte, wurde diese zwar zunächst hochgehoben; aber da ein Abtransport durch das Zappeln kaum möglich war, wurde sie letztendlich auf dem Schlachtfeld zurückgelassen. Es ist offenbar eine Entscheidung, die primär von dem verletzen Tier ausgeht. Und obwohl das Verhalten für das einzelne Tier den Tod bedeutet, ist es doch eine effiziente Strategie für das Überleben der Kolonie, denn die gesunden Ameisen verschwenden so keine wertvollen Ressourcen für den Abtransport und die Pflege Schwerverletzter. Sie können sich stattdessen um die leichtverletzten Ameisen kümmern, deren Genesungschancen erheblich besser sind, und die beim nächsten Beutezug wieder voll im Einsatz sein können.