Ungeheuerliches in Schloss Ambras

Zu Besuch in der Sonderausstellung „Schaurig Schön 2.0“ in Innsbruck

Beginnen wir gleich mit der schlechten Nachricht: Die Sonderausstellung „Schaurig Schön 2.0“ im österreichischen Innsbruck war am 31. Oktober 2023 zum letzten Mal zu sehen. Zum Glück wird eine Vielzahl der faszinierenden Objekte aus der Ausstellung aber auch dauerhaft in der Kunst- und Wunderkammer von Schloss Ambras gezeigt.

Als wir an einem bewölkten Oktobertag die Ausstellung in Schloss Ambras besuchten, empfing uns gleich beim Betreten der Räumlichkeiten das Geräusch zischender Schlangen. Sie stimmten auf die im ersten Ausstellungsraum präsentierten Darstellungen der Medusa ein. Unter anderem war hier das großformatige und wunderbar detaillierte „Haupt der Medusa“ des flämischen Malers Peter Paul Rubens (1577-1640) zu sehen, das den abgeschlagenen Kopf der schlangenhaarigen Gorgone zeigt. Der Sage nach gelang es dem Helden Perseus sie zu enthaupten, indem er sich ihr unter Einsatz seines spiegelnden Schildes näherte und so ihrem Blick entging, der jeden in Stein verwandelte. Die Schlangen auf dem Kopf der Medusa winden sich wild. Sie stammen wohl nicht von Rubens selbst, sondern von dem Tiermaler Frans Snyders (1579-1657). Blut läuft aus dem Hals der Medusa und ihr Blick zeigt blankes Entsetzen. Weitere Tiere, wie Feuersalamander, Skorpion und Spinnen im unteren Teil des Gemäldes ergänzen die grausige Stimmung. Die auf Sockeln neben dem Bild präsentierten Korallenstämme wiesen auf eine Überlieferung hin, die sie mit der Geschichte der Medusa in Verbindung bringt. Die verzweigten, teils leuchtend roten Gebilde, tatsächlich die Kalkskelette koloniebildender Nesseltiere, sollen demnach aus dem ins Meer tropfenden und anschließend versteinerten Blut der Medusa entstanden sein. Dazu passt auch, dass Korallen im Volksglauben eine Schutzwirkung vor dem „bösen Blick“ nachgesagt wird.

Haupt der Medusa, Peter Paul Rubens und Frans Snyders, ca. 1618 (Bild: Mährische Galerie in Brünn)

Die historischen Räumlichkeiten von Schloss Ambras mit den bei jedem Schritt knarrenden Holzfußböden passten hervorragend zur unheimlichen Atmosphäre der Ausstellung. Die holzverkleideten Decken und die teils mit Jagdszenen sowie ornamentalen Pflanzen- und Tierdarstellungen bemalten Wände ließen unsere Blicke oft zur Decke wandern. Der Tiroler Landesfürst Ferdinand II. (1529-1595), Erzherzog von Österreich aus dem Hause Habsburg und Sohn des römisch-deutschen Kaisers Ferdinand I., baute die mittelalterliche Burg Ambras zu einem imposanten Renaissanceschloss aus. In einem eigens dafür neu errichteten Gebäude, dem Unterschloss, schuf er Platz für seine umfangreichen Sammlungen von Rüstungen und Waffen, Kunstwerken und seltenen Naturalien, die er aus aller Welt zusammentrug und hier ausstellte. Und auch viele Stücke in der Sonderausstellung stammten aus ebendiesen Sammlungen.

Zwei Schlangen aus Serpentin (Bild: KHM-Museumsverband; CC-BY-NC-SA-4.0-Lizenz)

Wir bemerkten zwei Schlangenfiguren aus dem 16. Jahrhundert. Eine von ihnen erschien uns verblüffend naturalistisch und dafür es gibt einen Grund. Um sie herzustellen, wurde nämlich der Körper einer echten Natter verwendet. Es handelt sich um einen Naturabguss, für den man das tote Tier mit Ton umhüllte, der anschließend im Ofen gebrannt wurde. Während der Schlangenkörper verbrannte, blieb ein Hohlraum zurück, der anschließend mit Bronze ausgegossen wurde. Selbst die feine Schuppenstruktur der Schlange hat sich so erhalten. Die andere Figur stellt zwei ineinander verschlungene Schlangen dar. Das Objekt besteht aus Serpentin, auch als Schlangenstein bezeichnet. Und tatsächlich erinnert die Musterung des Gesteins etwas an Schlangenhaut. Man glaubte, dass dieses Material unter anderem gegen Vergiftungen durch Schlangenbisse helfen würde.

Zappelnde Kreaturen im Ambraser Schüttelkasten (Bild: KHM-Museumsverband; CC-BY-NC-SA-4.0-Lizenz)

Ein zunächst unscheinbar wirkendes Holzkästchen, nicht einmal so groß wie ein Schuhkarton, erregte unsere Aufmerksamkeit. Es stand geschützt in einer Vitrine, so dass man von oben hineinsehen konnte. Im Inneren des Kastens eröffnete sich eine Miniaturwelt von beschuppten, gepanzerten und geflügelten Kreaturen, die aus Höhlen hervorschauten und zwischen dem Moos am Grund lauerten. Wir entdeckten wurmartige Wesen und echte Schneckenschalen. Der „Ambraser Schüttelkasten“ stammt aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Selbst schütteln durfte man das empfindliche Stück natürlich nicht; in der Ausstellung wurde aber in einem Video gezeigt, wie die kleinen Wesen durch das Bewegen des Kastens nach und nach zum Leben erwachen (hier kann man einen Eindruck davon bekommen). Die aufgehängten Gliedmaßen erzittern und die Kreaturen scheinen loszukrabbeln. Die Wesen bewegen ihre Köpfe, sodass die winzigen Schlangen, Würmer und Schnecken, die sie teils in ihren Mäulern festhalten, hin und her geschüttelt werden.

Angeblich wurde dieser in Glas eingeschlossene Teufel einem Besessenen ausgetrieben. (Bild: KHM-Museumsverband; CC-BY-NC-SA-4.0-Lizenz)

Ein Teil der Ausstellung widmete sich Teufeln und Dämonen – Wesen, die oft auf umgedeuteten vorchristlichen Vorstellungen basieren. Aus dem 17. Jahrhundert stammt ein dort gezeigter kleiner, in Glas eingeschlossener Teufel. Einer historischen Beschreibung des Objekts zufolge, soll er einst einem Besessenen ausgetrieben und daraufhin in das Glas verbannt worden sein. Ein paar Vitrinen weiter wurden Teufelsmasken und Fasnachtskostüme aus Tirol ausgestellt. Beeindruckend gruselig war das Luziferkostüm aus dem 18. Jahrhundert. Es war eine Leihgabe des Tiroler Volkskunstmuseums, welches übrigens auch sehr sehenswert ist. Das Kostüm ist übergroß, sodass der Träger aus dem Mund der Maske herausschauen muss. Diese zeigt eine Fratze mit hervorquellenden Augen, einer hakenförmig gebogenen Nase und riesigen Zähnen. Die lange Zunge reicht bis zur Brust und auf dem Rücken des Kostüms finden sich Flügel. Vier Hörner zieren das Haupt und auf den Schultern hocken kleine Dämonen. Das Luziferkostüm wurde einst bei Nikolausspielen getragen; dann wurden auch die Zunge und die Flügel über einen Mechanismus bewegt. Diese Gestalt hatte sicherlich für viel Erschrecken gesorgt.

Das Ambraser Tödlein erinnert an die Sterblichkeit. (Bild: KHM-Museumsverband; CC-BY-NC-SA-4.0-Lizenz)

In einem schwach beleuchteten, schwarz ausgekleideten Raum fand ein besonderes Ausstellungsstück seinen Platz: Das Ambraser Tödlein. Das filigrane hölzerne Skelett ist nicht länger als ein Unterarm. Es wurde aus nur einem einzigen Stück Holz gefertigt und entstand vermutlich vor 1519. Die Figur ist erstaunlich detailliert gearbeitet. Man sieht die einzelnen Rippen und an den halb verwesten Füßen lassen sich selbst die Zehennägel erkennen. Obwohl dem Tödlein die Haut in Fetzen herabhängt und sein Schädel entblößt wird, erscheint es äußerst lebendig. In den Händen hält es Pfeile und Bogen und gemahnt damit die Lebenden an ihre Sterblichkeit.

Am Ende der Ausstellung wurde sehr realer Horror vergangener Jahrhunderte thematisiert. Dort konnten wir unter anderem das berühmte Portrait von Vlad III. Dracula (1431-1476) sehen. Das Bild wurde im 16. Jahrhundert nach einem zeitgenössischen Gemälde angefertigt, welches nicht mehr erhalten ist. Das Portrait soll das Aussehen des gefürchteten Fürsten der Walachei, den der irische Schriftsteller Bram Stoker (1847-1912) als Vorbild für seinen „Dracula“ nahm, zuverlässig wiedergeben. Daneben hing eine historische Darstellung von Pfählungen, für die Vlad III. berüchtigt war und die ihm den Beinamen Țepeș, der Pfähler, einbrachten.

Portrait des Gregor Baci nach seinem furchtbaren Unfall

Ein anderes Gemälde aus dem 16. Jahrhundert, dessen Motiv im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge stach, war das Portrait des Gregor Baci. Es zeigt den ungarischen Edelmann nach einem grausigen Unfall mit einer Lanze, die sein rechtes Auge durchbohrte und am Hinterkopf wieder heraustrat. Berichten zufolge soll der Unglückliche noch mehr als ein Jahr mit dieser Verletzung gelebt haben. Dass es tatsächlich möglich ist, eine solche Verletzung zu überstehen, ohne dass Gehirnareale oder größere Gefäße zerstört werden, zeigte ein Forschungsprojekt, das in Zusammenarbeit mit den Innsbrucker Universitätskliniken durchgeführt wurde. In der Ausstellung war neben dem Gemälde Bacis ein 3D-Modell eines Schädels zu sehen, an dem man den Weg der Lanze durch den Kopf nachvollziehen konnte.

Insgesamt war „Schaurig Schön 2.0“ eine unglaublich spannende Sonderausstellung. Praktisch jedes der einzigartigen Objekte in der Ausstellung, zu der übrigens auch ein informativer Katalog erschienen ist, hat uns in seinen Bann gezogen. Wer sich über den Namen wundert; die Sonderausstellung war eine erweiterte Version der Ausstellung „Schaurig Schön“, die 2011 im Kunsthistorischen Museum Wien gezeigt wurde, zu dessen Verband auch Schloss Ambras gehört.

Ein kleiner Einblick in die umfangreiche Ambraser Kunst- und Wunderkammer

Neben der Sonderausstellung haben wir in Schloss Ambras auch die berühmte Kunst- und Wunderkammer besichtigt. Die dort gezeigten Sammlungen gehen auf Ferdinand II. zurück, der bereits mehrere Mitarbeiter beschäftigte, um die Objekte zu dokumentieren und zu verwalten. Wir waren geradezu überwältigt von der Fülle an Kuriositäten, darunter Gemälde von riesen- und kleinwüchsigen Menschen sowie solchen mit übermäßiger Behaarung, einen in einen Baum eingewachsenen Hirschschädel, Kreuzigungsszenen aus geschnitzter Koralle, Gemälde auf Alabaster, ein wunderbarer „Tödlein“-Schrein und filigranste Arbeiten aus Perlmutt, Elfenbein, Glas, Gold und Holzspänen. Darüber hinaus sind auch die anderen Bereiche von Schloss Ambras, wie die Rüstkammern, die prunkvollen Räumlichkeiten, und die Gärten mitsamt künstlich angelegter Grotte sehr sehenswert.

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