Tanzende Glühwürmchen auf dem Alten Friedhof in Gießen

Glühwürmchen auf dem Alten Friedhof (Bild: Ray Montag)

Umgegeben von alten Grabsteinen vollführt der Kleine Leuchtkäfer zur Sommersonnenwende seinen Paarungsflug.

Durch das schmiedeeiserne Tor verlassen wir das hektische Treiben der hessischen Universitätsstadt Gießen und treten hinein in ihren geheimen Ruhepol. Während dieser Tage im späten Juni hat der Alte Friedhof in Gießen einen ganz besonderen Reiz, denn mit Anbruch der Dunkelheit tanzen zahlreiche Glühwürmchen über die Gräber.

Als wir den Friedhof betreten, schließt die dicke, alte Friedhofsmauer um uns herum den Verkehrslärm aus und es umfängt uns die Stille des Ortes, die nur durch Vogelgezwitscher unterbrochen wird. Ehemals wurden die Verstorbenen der Stadt Gießen auf einem Friedhof mitten in der Innenstadt bestattet. Als es infolge der Pest jedoch zahllose Tote zu beklagen gab, reichte diese Begräbnisstätte nicht mehr aus und sie wurde, um das Jahr 1529, durch einen Friedhof außerhalb der Stadtmauern abgelöst, den heutigen „Alten Friedhof“. In den folgenden Jahrhunderten wurde dieser Friedhof nach und nach erweitert. Einige berühmte Persönlichkeiten der Stadt liegen hier begraben: Wilhelm Conrad Röntgen, der unter anderem die nach ihm benannte Röntgenstrahlung entdeckte, oder die Familie Gail, die mit der ersten Zigarrenfabrik in Gießen große Bedeutung für die Wirtschaft der Region hatte. Heute werden auf dem Alten Friedhof nur noch in Ausnahmefällen Verstorbene bestattet.

Alter Friedhof in Gießen

Man kann dem Friedhof seine lange Geschichte ansehen. Überall findet man wunderschöne alte Grabsteine, Statuen und teils aufwändige Grabmale. Der historische Baumbestand spendet Schatten und sorgt dafür, dass es hier im Sommer immer ein wenig kühler ist als außerhalb der Friedhofsmauern. Wir setzen uns auf eine Wiese und warten gespannt auf die Dämmerung.

Viele verschiedene Pflanzen wachsen auf dem Alten Friedhof. Sträucher, die ehemals zur Grabbepflanzung dienten, sind ihren Begrenzungen längst entwachsen und strecken ihre Zweige zu den umliegenden Grabstätten aus. Auf einigen Gräbern scheint der Efeu außer Kontrolle geraten zu sein und umschließt wuchernd die Grabsteine. Der Alte Friedhof bietet Lebensraum für zahlreiche Tiere. Wenn man sich ruhig verhält, lassen sich erstaunlich viele von ihnen beobachten, darunter Eichhörnchen, Fledermäuse und diverse Arten von Vögeln, unter anderem Zilpzalp, Buntspecht und Eichelhäher. Sie alle scheinen sich in dieses grüne Refugium zurückgezogen zu haben.

Weibchen des Kleinen Leuchtkäfers (Bild: Dennis Merbach)

Als die Sonne schließlich untergeht und die ersten Fledermäuse über uns hinweg fliegen, beginnen hier und da plötzlich kleine, hellgrüne Lichtpunkte aufzuglimmen. Sie erheben sich auf der Lichtung und tanzen über die Gräber hinweg. Es handelt sich um Glühwürmchen, genauer gesagt um den Kleinen Leuchtkäfer, Lamprohiza splendidula, auch Sonnwendkäfer oder Johanniswürmchen genannt. Es sind nur die Männchen dieser Art, die leuchtend umherfliegen. Sie sind auf der Suche nach Weibchen, die in der einsetzenden Dunkelheit am Boden warten. Sind die Weibchen bereit zur Paarung, leuchten auch sie auf. Die Leuchtkäfer erzeugen ihr Leuchten mit Hilfe eines speziellen Organs an ihrem Hinterleib. In diesem Leuchtorgan findet eine chemische Reaktion statt, bei der Energie in Form von Licht freigesetzt wird. Entdecken die Männchen das Lichtsignal eines Weibchens, fliegen sie zu ihm, um sich zu paaren. Nach der Paarung beginnt das Weibchen mit der Eiablage. Das Leben der Käfer ist bald danach beendet. Aus ihren Eiern wächst jedoch eine neue Generation von Leuchtkäfern heran, die zwischen den Gräbern des Alten Friedhofs ihren Lebensraum findet. Die Käferlarven leben dort im Verborgenen und ernähren sich von Schnecken, die sie mit einem Giftbisses überwältigen können. Erst nach drei Wintern sind sie bereit sich zu verpuppen. Aus den Puppen schlüpfen dann schließlich wieder erwachsene Käfer.

Nur während der kürzesten Nächte im Jahr, also rund um die Sommersonnenwende, kann man den Flug der Glühwürmchen wenige Wochen lang erleben. Wir genießen das nächtliche Lichterschauspiel, bei dem sich langsam immer mehr Leuchtkäfer in die Lüfte erheben, um ihre planlos scheinenden Bahnen über den Alten Friedhof in Gießen zu ziehen.

3 Gedanken zu „Tanzende Glühwürmchen auf dem Alten Friedhof in Gießen

  1. Ein traumhaftes Bild!
    Das alte Grab und diese Sonnenkäfer laden zu ein zum Träumen und angenehmen Gruseln!

    Ich weile oft und gern bei euch!

    Liebe Grüße
    Llu ♥

  2. Der Artikel ist mittlerweile 11 Jahre alt, wie ist es mittlerweile um das Glühwürmchenaufkommen auf dem Friedhof bestellt?

    Liebe Grüße,
    Horst

  3. Da wir mittlerweile in Berlin leben, können wir leider nicht genau sagen, wie es derzeit um die Glühwürmchen auf dem Alten Friedhof in Gießen steht. Große Veränderungen hat es auf dem Friedhof allerdings nicht gegeben, deswegen sind wir optimistisch, dass man die Kleinen Leuchtkäfer dort zur entsprechenden Jahreszeit und bei richtigem Wetter immer noch sehen kann.

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