Schutz durch Insektenkadaver

Nur wenigen Seefahrern soll es gelungen sein, die Insel der Sirenen unversehrt zu passieren; viele andere fanden den Tod.

Wie mit Sirenengesängen locken einige Pflanzen Insekten an und schützen sich so vor Fressfeinden.

Unzählige Seemänner sollen den Gesängen der Sirenen aus der griechischen Mythologie schon zum Opfer gefallen sein. Sobald sie die betörenden Stimmen dieser Mischwesen aus Frau und Vogel (oder auch Frau und Fisch) vernahmen, stürzten sich die Männer wie von Sinnen ins Meer, um zu den Sirenen zu gelangen, wo sie alsbald ihr Verderben fanden.

Ein klebriger Pflanzenstängel wurde dieser Eintagsfliege zum Verhängnis. (Bild: Eric F. LoPresti)

An diese Sagen fühlten sich Forscher um Eric F. LoPresti bei ihren Untersuchungen an Pflanzen erinnert. Bei verschiedenen Pflanzenarten bleiben an den klebrigen Stängeln und Blättern nämlich zahlreiche Insekten haften und verenden dort unweigerlich. Jedoch handelt es sich nicht um fleischfressende Pflanzen, die kleinen Tieren nachstellen, um sich von ihnen zu ernähren. Die Forscher hatten den Verdacht, dass die Insekten von diesen Pflanzen aber trotzdem gezielt angelockt und getötet werden.

Vielleicht, so die Annahme der Wissenschaftler, werden durch die Insektenkadaver wiederum räuberische Insekten oder Spinnentiere angelockt, welche die Pflanzen vor Fressfeinden schützen. Um das zu überprüfen, untersuchte das Forscherteam in einer Studie, die in der Fachzeitschrift Ecology veröffentlicht wurde, die Serpentin-Akelei (Aquilegia eximia), die in feuchten Küstengebieten Kaliforniens wächst. Während die Blüten der Serpentin-Akelei von Kolibris und Bienen besucht und bestäubt werden, bleiben kleinere Insekten an ihren extrem klebrigen Pflanzenteilen, wie Stängeln und Blättern, hängen.

Einmal fest geklebt, gibt es kein Entkommen mehr. (Bild: Eric F. LoPresti)

Sollte die Akelei diese Tiere jedoch tatsächlich gezielt anlocken oder landeten sie nur zufällig dort? Um das zu überprüfen, stellten die Forscher Klebefallen auf, von denen sie einige mit Pflanzenteilen der Akelei bestückten. Als sie die Gefäße später wieder einsammelten, stellten sie fest, dass in den Gefäßen mit den Pflanzenteilen viel mehr Insekten gefangen wurden als in denen ohne. Da die Fallen so aufgebaut waren, dass die Pflanzenteile nicht von weitem sichtbar waren, vermuten die Forscher, dass die Pflanze die Insekten durch spezielle Stoffe anlockt.

Die festgeklebten Körper von Käfern und anderen Insekten schützen die Pflanze vor Fressfeinden. (Bild: Eric F. LoPresti)

Um zu untersuchen, welchen Nutzen die festgeklebten Tiere für die Serpentin-Akelei haben, reduzierten die Forscher bei ausgewählten Pflanzen die Zahl der Kadaver, indem sie einige von ihnen mit einer Pinzette entfernten. Anschließend zählten sie, wie viele räuberische Gliederfüßer dort nach der Prozedur zu finden waren. Je mehr Kadaver auf einer Pflanze klebten, desto mehr räuberische Gliederfüßer, vor allem bestimmte Wanzen und Spinnen, waren dort unterwegs. Diese können sich gut auf den klebrigen Pflanzenteilen bewegen und ernähren sich einerseits von den festgeklebten Tieren, andererseits aber auch von Fressfeinden der Pflanze, wie gefräßigen Schmetterlingsraupen, die eine Vorliebe für Knospen, Blüten und Früchte der Akelei haben. Je mehr Kadaver auf den Pflanzen klebten, desto weniger Fraßschäden konnten die Forscher entdecken. Auf diesem Wege scheint das Anlocken und Festkleben von Insekten der Akelei also einen effektiven Schutz vor Fressfeinden zu bieten.

Die Forscher vermuten, dass nicht nur die Serpentin-Akelei, sondern auch viele andere Arten von klebrigen Pflanzen ihre Opfer ganz gezielt mit Duftstoffen anlocken, ähnlich wie die Sirenen mit ihrem betörenden Gesang vorbeifahrende Seeleute anziehen. Während bei den Sirenen jedoch nicht klar ist, zu welchem Zweck sie Reisende überhaupt anlocken, ist die Strategie der klebrigen Pflanzen nun geklärt.

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